Er kam ihr so perfekt und wunderschön vor, und in diesen Momenten dachte sie: Gleich wache ich auf und stelle fest, dass es nur ein Traum war, es ist unmöglich, dass er zu mir gehört.
Sechzehn Jahre lang sind sie ein Paar, die engagierte Deutschlehrerin Mathilda Kaminski und der erfolglose Schriftsteller Xaver Sand. Sie liebt ihn wahnsinnig, er nicht ganz so sehr.
Jeder Mensch trägt in sich ein Motiv, ein Thema, das die Partitur und Melodie seines Lebens prägt. Meistens ist es so, dass dieses Motiv stark verwoben ist mit der Herkunft und sich dann über das gesamte Leben ausbreitet und stärker wird. Man schafft es nicht, davon loszukommen, ganz egal, wie sehr man sich bemüht, es zumindest blasser werden zu lassen. Manchen Menschen ist ihr Lebensthema durchaus bewusst, zumindest in gewissen Lebensphasen, manchen wiederum nicht, oft deshalb nicht, weil sie nicht in der Lage sind, es sich einzugestehen. Und oft umspielt ein zweites Motiv das erste und gibt ihm die besondere, persönliche Note.”
Die Motive im Leben der Deutschlehrerin sind Schwermut und Lebenstüchtigkeit, die des Autors Schwermut und Eitelkeit. Das erste verbindet die beiden lange Zeit – ebenso wie ihre Liebe zu Literatur, Büchern, Geschichten -, ihr zweites Motiv entzweit sie schließlich. Denn als ihm Mathilda die zündende Idee für eine Jugendbuchtrilogie liefert und Xaver damit den durchbrechenden Erfolg hat, verschwindet er kurz darauf, um eine prominente, reiche Frau zu heiraten und mit ihr ein Kind in die Welt zu setzen. Und das wäre es gewesen, was sich Mathilda jahrelang so sehnlichst wünschte: eine Hochzeit und ein Baby, was ihr jedoch Xaver immer verweigerte. Sein Glück mit der neuen Frau ist jedoch von kurzer Dauer, der eineinhalbjährige Sohn wird entführt und ist von dem Tag an unauffindbar. Xavers Leben ist zerstört. Nach sechzehn Jahren steht der Schriftsteller plötzlich vor Mathildas Tür und er ahnt Schreckliches. War es Mathilda, die den kleinen Jakob entführte, um sich an ihm zu rächen? Wer soll der junge Mann sein, der in ihrem Keller ohne Sprache heranwächst?
Für DIE DEUTSCHLEHRERIN erhielt die Autorin im Mai 2014 den Friedrich Glauser Preis.
Liebe, Verrat und Tod. Es sind die großen Themen des Lebens, die Judith Taschler sprachlich virtuos in ein kleines Kammerspiel packt. Und es sind die leisen Töne, die dieser als Zwiegespräch geführten Lebensbeichte eine dramatische Tiefe verleihen. Unaufdringlich eröffnet sich dem Leser ein Panoptikum vergebener Lebenschancen. Zwei Menschen, füreinander bestimmt, folgen ihren egozentrischen Lebensplänen und verpassen sich. Irritiert und ergriffen von der Tragik der Geschichte folgen wir der opportunistischen Handlungslogik der Protagonisten bis ans bittere Ende. Leben heißt scheitern, hat Amélie Nothomb einmal gesagt. So konsequent, spannend und literarisch subtil wie Judith Taschler das Thema umsetzt, wird auch Scheitern zum Hochgenuss!
Die Deutschlehrerin
Begründung der Jury – Friedrich Glauser Preis 2014
Das ist wirklich ganz großes Kino, was Judith Taschler sich da ausgedacht hat. Ein Mann und eine Frau. Und alles, was es zu einem Drama braucht: Liebe, Enttäuschung, Rache, Schuld, Verrat, ein Kind, eine überstürzte Heirat und ein Beinahe-Mord. Die Geschichte kommt gänzlich anders daher als ein herkömmlicher Krimi oder ein Thriller. Denn eigentlich ist es die Geschichte einer großen Liebe. Was immer an Ungeheurem, an Unerwartetem passiert, geschieht leise, wie beiläufig. Matilda und Xaver erzählen, was in den letzten 16 Jahren, in denen sie sich nicht gesehen haben, passiert ist. Es ist eine raffinierte Lebensbeichte voller Ängste und Abgründe. Die Frau erzählt aus ihrer, der Mann aus seiner Sicht. Nie kann man sicher sein, wer lügt und wann er oder sie die Wahrheit sagt. Man weiß nicht, was sich vielleicht Matilda nur ausgedacht und Xaver vielleicht wirklich getan hat. Am Ende ist alles klar, aber selbst auf der letzten Seite gelingt der Autorin noch ein fabelhafter Überraschungsmoment. Dieser Roman hat knapp zweihundert Seiten, ich habe das Buch gelesen wie in einem Rausch. Zweimal innerhalb weniger Wochen, weil es nach dem ersten Lesen noch auf meinem Nachttisch lag. Und obwohl ich ja jetzt wusste, was passiert, hat es mich noch einmal gefesselt und gepackt. Wie großes Kino eben.
Die Deutschlehrerin
Christine Westermann, WDR
Die Last des schlechten Gewissens
“Die Deutschlehrerin” ist ein raffiniert komponierter Roman über zwei Menschen und die extremen Konsequenzen einer gescheiterten Beziehung. Die Geschichte beginnt harmlos, aber sie ist es nicht. Überhaupt nicht. Sie ist zutiefst aufwühlend, schockierend, überraschend und – auch das muss man Autorin Judith W. Taschler zugutehalten – äußerst spannend zu lesen.
Die Deutschlehrerin
Jutta Sommerbauer, Die Presse
Es ist eine Liebesgeschichte, die eineinhalb Jahrzehnt nach ihrem vermeintlichen Ende durch die Kraft des Erzählens einen neuen Anfang findet. Ein besonderer Reiz des Romans macht dabei Judith W. Taschlers souveräner Einsatz verschiedener sprachlicher Verfahrensweisen aus. Die Liebe kennt offensichtlich verschiedene sprachliche Register.
Die Deutschlehrerin
Helmut Sturm, Literaturhaus Wien
Späte, spannende Begegnung mit einer alten Liebe.
Das neue Werk „Die Deutschlehrerin“ von Judith W. Taschler, 1970 in Linz geborenen, im Mühlviertel aufgewachsen, überzeugt nicht nur durch psychologischen Realismus und eine spannend erzählte Kriminalhandlung, sondern auch durch formalen Variantenreichtum.
Die Deutschlehrerin
Christian Schacherreiter, OÖN
Es fehlte ihm an nichts, außer an Liebe, die erfuhr er nur an den Tagen, an denen ihn seine Mutter Rosa besuchte. Er hatte ein Bett, genug zu essen, genug zum Anziehen, er ging zur Schule und wurde dazu angehalten, seine Hausaufgaben zu machen. Das war der Herrschaft, welche Kost und Logis für ihn bezahlte, besonders wichtig: dass der Bub lernte.
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